Kurzgeschichte von Nourddin Ajouaou (8a)

 

Erleuchtung

 

Heute hat Celine Geburtstag. Endlich war der Tag gekommen, den sie schon sehnsüchtig erwartet hatte. Zehn Freundinnen sollten kommen. Die Fingernägel hatte ihr die Mama auch pink lackiert.

Ihr Geburtstagstisch war heute Morgen übervoll gewesen, die Torte mit den 10 Kerzen grandios und einer Hochzeit würdig. Die Eltern hatten ihrer einzigen Tochter alle Wünsche erfüllt. Das hübsche Mädchen mit den langen, glatten und braunen Haaren sah aus wie eine kleine Modepuppe. Helle Strähnen hatte der Friseur erst letzte Woche eingefärbt. Das Shirt war zweilagig mit angesagtem Label natürlich und bauchfrei. Die Designerjeans saßen wie angegossen. Alles war perfekt gestylt. Es irritierte nur, dass es keine Discomaus, sondern ein Kind war. Aber das empfanden weder Mama noch Papa und schon gar nicht die Kleine selbst.

Gewohnt, alle Wünsche erfüllt zu bekommen, war Celine trotzdem ein liebenswertes Kind. Eingebettet in unendliche Liebe und Fürsorge, erhielt sie alle Zuwendung von ihren Eltern. Nur die Zeit fehlte manchmal ein bisschen, da der Handwerksbetrieb von Papa doch auch seinen Tribut forderte. Aber das war nicht weiter schlimm, denn eine Kinderfrau sorgte dafür, dass Celine immer pünktlich zum Reit- und Ballettunterricht, und zur Tennis- und Klavierstunde kam. So hatte sie ihren eigenen Stress und vermisste dann auch nicht die Mama, welche die Büroarbeit von Papa erledigte.

Heute aber war ein Tag, an dem sie Kind sein durfte. Mit den Freundinnen lachen, spielen, Unsinn machen, alles ohne, dass ein Beweis für ihr Können erwartet wurde. Kein Termindruck, keine Hausaufgaben. Oh, wie sehr freute sie sich heute. Aufgeregt lief sie wieder zur Mama, die damit beschäftigt war, bunte Ballons an der Haustür zu befestigen. "Mama, Mama", rief Celine," ich habe ganz vergessen, Dir zu sagen, dass ich noch ein Mädchen eingeladen habe, wir brauchen noch einen Teller und eine Geschenktüte". Die Mutter hielt mit ihrer Ballonarbeit inne und sah fragend zu ihrer Tochter. "Aber Kind, wir hatten doch zehn Einladungen verschickt. Wer kommt denn noch?" wollte sie wissen.

"Ach Mama, ich weiß ja selbst nicht warum, aber ich habe Lena eingeladen. Du weißt doch, das Mädchen, das nirgendwohin mitkommt. Nicht zum Reiten, nicht zum Ballett, einfach nirgendwo. Und so komische Kleider hat sie auch immer an. Aber nett ist sie" rief Celine der aufmerksam zuhörenden Mutter zu, bevor sie schon wieder losrannte. Nachdenklich sah diese ihrer Tochter nach.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass die "komischen" Kleider, die Celine anführte, tatsächlich ganz normale Kleidung für eine Zehnjährige waren. Ihr wurde nun bewusst, dass dieses Mädchen aussah wie ein Kind und sich ihrem Alter entsprechend benahm. Sie holte oft Celine von der Schule ab und kannte auch von den Schulfesten alle Mitschülerinnen. Sie hatte Lena immer nur nebenbei wahrgenommen. Sie empfand sie als wohlerzogenes und ruhiges Kind. Nicht introvertiert. Jedoch war sie anders als ihre Mitschülerinnen, die alle ein Handy in der Schultasche hatten, bauchfreie Shirts trugen und eben aussahen wie kleine Erwachsene. Das war es! Schockiert empfand sie zum ersten Mal, dass ihre Tochter eigentlich schon das Leben einer gestressten, immer gestylten jungen Dame führte. "Mein Gott, was habe ich angerichtet?" durchfuhr es sie. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen: Sie hatte ihrem geliebten Kind die glückselige Kinderzeit vorenthalten.

Zwar hatte sie alles aus Liebe getan, aber sie hatte den falschen Weg gewählt, erkannte sie betroffen. Aus dem Gefühl heraus, alles was modern und hip ist, kann nur gut für mein Kind sein, wurden statt Bausteinen, batteriebetriebene Kindercomputer angeschafft. Statt Puppen zum Knuddeln und Liebhaben, saßen die Barbies in Unzahl mit den tollsten Abendkleidern im Regal. Sie brachte abends ihr Kind immer ins Bett, fiel ihr ein, oh ja. Aber zum Märchen erzählen, war keine Zeit. Nach dem Gute-Nacht- Kuss schaltete sie den CD-Player ein und ließ erzählen. Bekümmert erinnerte sie sich, dass sie Celine vor Jahren gebeten hatte, nicht mehr mit den Nachbarskindern am Bach zu spielen. Sie würde dann nur ihre Kleider schmutzig machen. Natürlich sorgte sie sofort für Ersatz. Statt schmutziger Kleider, Sand und Wasser, gab es jetzt für die Kleine Ballettunterricht! Celines Mutter war zutiefst erschüttert von ihrer Erkenntnis. Und wahrscheinlich trug ihr damaliges Verhalten auch dazu bei, dass die meisten Freundinnen von Celine genauso ihre Kindheit erlebten. Weil die anderen Mütter auch von falschem Ehrgeiz besessen waren. Die Mädchen sollten auch mithalten können mit Celine. Immer neue Situationen fielen ihr ein, die sie im Nachhinein beschämten. Nur eine Mutter zog die Bremse. Sie bewahrte ihrer Tochter das Kinderleben. Nein, Lena wurde keine scheue Einzelgängerin. Sie hatte gesundes Selbstvertrauen. Sie wusste, sie war auch ohne Markenklamotten das geliebte Kind ihrer Eltern. Ihr gesunder Ehrgeiz und ihre freundliche, selbstbewusste Art verlangten den Anderen Respekt ab. Es gab keine Hetzkampagnen. Man akzeptierte ihre Eigenständigkeit, was ein freundschaftliches Nebeneinander ermöglichte.

Celines Mutter riss sich aus ihren Überlegungen und fasste einen Entschluss. Noch war es nicht zu spät. Sie würde ihre Tochter auch lehren, dass die von einem großartigen Spiel schmutzig gewordenen Hände glücklicher machen, als rosa Nagellack.